„Der Unternehmer handelt vernünftig, der Manager rational“

So lautet eine These aus dem Handout zur ersten Veranstaltung des Unternehmer-Studiums. Was bedeutet diese These?

Vernunft und Rationalität werden heutzutage oft gleichgesetzt und identisch verwendet. Dies ist deshalb der Fall, weil der neuere Begriff der Rationalität den älteren der Vernunft quasi abgelöst hat und dieser Ablösungsprozess noch im Gange ist. Um unsere These zu verstehen und ihre Implikationen zu begreifen, ist es sinnvoll, einen Blick auf den gedanklichen Hintergrund dieser Begriffe zu werfen.

Vernunft ist ein Begriff der klassischen Philosophie

Der Begriff der Vernunft entstammt der klassischen Philosophie, die mit der Aufklärung eine Renaissance erlebt hat. Diese Vernunft ist göttlichen Ursprungs und der Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er zur Vernunft begabt ist. Die moderne Wissenschaft, die Gott quasi abgeschafft hat – was Nietzsche mit seinem berühmten Wort „Gott ist tot“ auf den Punkt brachte – hat an die Stelle der Vernunft die Rationalität gesetzt. Im Verhältnis beider Begriffe spiegelt sich also auch das Verhältnis von klassischer Philosophie und moderner Wissenschaft, die für deutlich unterschiedliche Denkweisen und im Grunde auch unterschiedliche Welten stehen. Unsere Zeit zeichnet sich dadurch aus, dass die klassische Philosophie, die unsere Welt mehr als zweitausend Jahre geprägt hat, noch nachwirkt und dass diese Welt zunehmend durch die moderne Wissenschaft geprägt wird. Hieraus könnte man schließen, dass es sinnvoll ist, auf das moderne Pferd zu setzen und die Vergangenheit sterben zu lassen, so wie Nietzsches Zitat auch Gott zu beerdigen scheint. Die Frage ist allerdings, was diese Entscheidung bedeutet und welchen Verlust man damit in Kauf nimmt.

Die klassische Philosophie fragt nach dem Sein und dem Wesen der Dinge. Wirklich sind im klassischen Sinne nur die Ideen, die allerdings für den Menschen nicht sinnlich wahrnehmbar sind. Sinnlich wahrnehmbar sind nur die weltlichen Erscheinungsformen dieser Ideen. Am Beispiel des Weizens kann man dies anschaulich machen: Der Weizen bleibt ein solcher, während er seine Erscheinungsform wandelt: Korn, Keimling, Pflanze, Ähre und wieder Korn sind unterschiedliche Erscheinungsformen, in denen der Weizen auf der Welt vorkommt und die er während seiner Entwicklung durchmacht. Der Mensch kann diese Erscheinungsformen wahrnehmen und sie als Weizen erkennen, d.h. die Idee des Weizens denken, die sich „hinter“ diesen Erscheinungsformen verbirgt.

Erich Gutenberg (1897-1984) gilt als Begründer der modernen deutschen Betriebswirtschaftslehre. Er hat sie als Wissenschaft etabliert, indem er ihr ein Forschungsobjekt, die Unternehmung, geschaffen hat.

Moderne Wissenschaft ist rationale Wissenschaft

Die moderne Wissenschaft hingegen fragt nicht nach dem Wesen der Dinge sondern nach ihrem Funktionieren. Wissenschaft erforscht das Funktionieren der Dinge, indem sie diese zum wissenschaftlichen Objekt macht. Etwas zum wissenschaftlichen Objekt zu machen bedeutet, ein gedankliches Modell zu entwickeln, d.h. eine rationale Konstruktion, die von den Unregelmäßigkeiten und Unvollkommenheiten des Lebens abstrahiert und nach explizierbaren Regeln reibungslos funktioniert sowie quantifizierbar und berechenbar ist. Die wissenschaftliche Forschung verwandelt aus der praktischen Erfahrung gewonnene, empirische Phänomene in rationale Konstruktionen, die in der Wissenschaft als Forschungsergebnisse zu publizieren, im Bildungssystem als rationales Wissen zu lehren bzw. von den Lernenden zu lernen und in die Praxis zu transferieren und in dieser zu realisieren sind.

Während die klassische Philosophie eine Idee des Menschen hat – dem Menschen liegt ein göttlicher Funke inne und er ist nach Gottes Bild geschaffen – kennt die moderne Wissenschaft nur Objekte. Das Forschungsobjekt der Betriebswirtschaftslehre ist beispielsweise die Unternehmung, und sie versteht ihre Aufgabe darin, ihr optimales Funktionieren zu erforschen. Der subjektive Mensch kommt in diesem wissenschaftlichen Objekt nicht vor bzw. nur insoweit, als dass er die für die Unternehmung notwendigen Funktionen optimal ausführt. Alles Menschliche, was von der optimalen Funktion abweicht, gilt als Fehler, als irrationaler Restbestand, der zu rationalisieren ist. Die moderne Wissenschaft bildet dazu Menschen aus, die rational agieren bzw. sich rational verhalten. Der Verlust, den diese moderne Wissenschaft von der Unternehmung bedeutet, ist die Entfremdung von allem Menschlichen. Mit ihm geht auch das eigentlich Unternehmerische verloren, da der Mensch der Schöpfer und Motor der Unternehmung ist. Ein heutiges wissenschaftliches Studium bildet demzufolge keine Unternehmer, sondern Manager aus.

Rationalität ist grenzenlos, Vernunft ist sich ihrer Begrenztheit bewusst

Die wesentlichen menschlichen Momente sind seine Originalität und seine Sterblichkeit. Nach Wilhelm von Humboldt zeichnet sich der Mensch durch seine Einzigartigkeit aus und klassischerweise unterscheidet ihn seine Sterblichkeit von den Göttern. Seine Aufgabe besteht darin, sich als sterbliches Wesen zu erkennen und der zu werden, der er ist. Dies geht über eine wissenschaftliche Qualifikation, die für eine bestimmte Funktion befähigt, hinaus und bedeutet, sich seiner persönlichen Möglichkeiten und Grenzen bewusst zu werden. Wer sich in diesem Sinne seiner selbst bewusst ist, handelt vernünftig. Die Rationalität kennt demgegenüber keine Grenze. Alles erscheint berechenbar und machbar, auch z.B. die moderne Medizin zeigt diese Grenzenlosigkeit, indem ihre Apparate einen Menschen auf Dauer „am Leben“ erhalten können (eigentlich: seine Organe funktionieren lassen können). Die Grenzenlosigkeit der Rationalität birgt eine gewisse Allmachts-Phantasie, Vernunft macht demütig.

Während der Manager, weil er so ausgebildet worden ist, rational handelt, gilt es für den Unternehmer, zur Vernunft zu kommen und sein Unternehmen gemäß seinen Möglichkeiten und Grenzen zu entwickeln. Im Unterschied zum Manager, bei dem ein Dritter, z.B. ein Eigentümer oder ein Investor, das Risiko des Unternehmens trägt, und er sich diesem gegenüber nur rechtfertigen muss (wofür er immer rationale Gründe produzieren kann), steht der Unternehmer mit seiner Existenz für sein Unternehmen ein. Der Unternehmer ist quasi in einer göttlichen Position, aus der heraus er alles entscheiden kann. Weil er aber kein Gott sondern ein Mensch ist, ist für ihn die regelmäßige Reflexion seiner unternehmerischen Praxis sinnvoll: zum einen um zu erkennen und zu bergen, was in ihm angelegt ist, und zum anderen um zu bedenken, was rationale Konzepte für ihn und seine Entwicklung bedeuten, d.h. welche Implikationen, Abhängigkeiten und Risiken sie beinhalten sowie zu prüfen, inwieweit sie für ihn und sein Unternehmen angemessen sind. Und neben der wissenschaftlich-rationalen Ausbildung ist für die, die Unternehmer sind oder sein wollen, ein „Studium für Unternehmer“ vernünftig, in dem die Bildung des unternehmerischen Subjekts im Fokus steht.

Wilhelm von Humoldt (1767-1835) hat die erste deutsche Universität zur Zeit der Aufklärung begründet, also während des Übergangs von der Klassik (bzw. Renaissance) zur Moderne. Er wollte sie demgemäß als einen Ort etablieren, an dem moderne Wissenschaft (objektive Forschung) und subjektive Bildung (die Bildung des Menschen ohne Vorbild zu einem Original) zusammen kommen.