Case Study #1/ 2022: Aufträge ablehnen oder sich entwickeln?

Ein Unternehmer, Geschäftsführer und Nachfolger in einem größeren Handwerksbetrieb und Teilnehmer unseres Unternehmer-Studiums, berichtete, dass er einen Auftrag ablehnen müsse. Sein Mitarbeiter hatte ihn über eine entsprechende Anfrage des Kunden informiert, die aus einem erfolgreichen Pilotprojekt resultierte und dass es im Unternehmen keine freien Kapazitäten gebe. Er habe den Fall, so der Teilnehmer, selbst geprüft, und es gebe tatsächlich keine Kapazitäten, den Auftrag auf absehbare Zeit abzuarbeiten. Er habe nun die Entscheidung getroffen, den Auftrag nicht anzunehmen, auch wenn er damit den Kunden, ein größeres Unternehmen mit Potential für viel Folgegeschäft, enttäuschen werde müssen. Die Alternative wäre gewesen, andere Aufträge, die bereits zugesagt waren, ihrerseits abzusagen oder zu verschieben. Auf diese Weise hoffe er, sich dem besagten Kunden gegenüber zumindest als verbindlicher Partner zu profilieren, der keine Zusagen mache, die er nicht einhalte.

In der anschließenden Reflexion wurden drei Momente herausgearbeitet:

Zum einen wurde nachgefragt, warum der Teilnehmer diese Entscheidung selbst getroffen hat. Er habe damit das Problem an sich gezogen und seine Mitarbeiter von der Verantwortung entlastet, die Abarbeitung der eingehenden Aufträge sicher zu stellen. Auf diese Weise lernen die Mitarbeiter, die Lösung von Problemen im Zweifel an ihn zurück zu delegieren. Er fördere damit die Unselbstständigkeit seiner Mitarbeiter und komme auf diese Weise in das Problem, immer mehr selbst entscheiden und unmittelbar verantworten zu müssen. Dadurch werde er immer mehr zum Engpass im Unternehmen. Außerdem werde er in dem wachsenden Betrieb nicht mehr über alle Informationen verfügen und somit immer weniger sachgerecht entscheiden können.

Zum anderen zeige der Fall, dass die Firma ihr Geschäft reaktiv betreibt, d.h. dass sie vornehmlich auf Anfragen seiner Kunden reagiert. Planung bedeute danach in dem Unternehmen des Teilnehmers, die eingegangenen Aufträge den Kapazitäten zuzuordnen und in eine Reihenfolge für die organisatorische Abarbeitung zu bringen. Diese reaktive Umgang habe zur Konsequenz, dass die Kunden bestimmen, was der Betrieb fertige und dass der Teilnehmer selbst wie im vorliegenden Fall allenfalls entscheiden könne, dass etwas nicht gefertigt werde. Dies bringe ihn und sein Unternehmen in eine Abhängigkeit von den Kunden, die nicht sinnvoll sei. Wenn er diese ändern will, müsse er erst sein eigenes Denken verändern. Wenn er selbst bestimme, was der Betrieb herstellt, könne er die Herstellung produktiver organisieren und mehr herstellen. Dies bedeutet aber für ihn persönlich einen Schritt, der über das Selbstverständnis als Handwerker hinausweise und der allerdings in Anbetracht der Größenordnung des Betriebes ohnehin anstehe.

Die Hoffnung schließlich, sich als verbindlicher Partner bei dem Kunden zu profilieren, sei eine Illusion. Der entsprechende Kunde habe vielmehr gelernt, dass die Firma des Teilnehmers zwar für Pilotprojekte geeignet sei, sie aber dann, wenn es darum gehe, das Projekt auszurollen und zu vervielfältigen, sich nicht als Partner eigne. Der Teilnehmer nehme somit mit seiner Entscheidung, den Auftrag abzulehnen, die aus seinem Selbstverständnis als Handwerker resultiert, sich und seinem Unternehmen die Chance genommen, sich weiter zu entwickeln.

Die Lösung des Problems, so das Resümee, liege darin, dass der Teilnehmer sich selbst ändere. Zum einen bedeute Führung, die Verantwortung des Mitarbeiters nachzufragen und dessen Verantwortungsübernahme sicher zu stellen, nicht sie ihm wegzunehmen. Zum anderen gehe es darum, das eigene Geschäft aktiv zu betreiben, d.h. eigene Angebote zu entwickeln und nicht nur auf Anfragen von Kunden zu reagieren. In jedem Fall habe der Teilnehmer das Problem selbst produziert und müsse, wenn er es lösen will, mit der Änderung bei sich selbst anfangen.

In der nächsten Session des Unternehmer-Studiums werden die Konsequenzen, die der Teilnehmer in diesem Fall gezogen hat, nachgefragt und weiter besprochen.